.......
Weiterfahrt! Mit braunen Armen umschließt uns das Schneerener Moor. Jetzt lebt das Moor. Es hat
Flaggen aufgezogen, weiße Wollgrasflaggen, zum Einzug des Frühlings. Das wimpelt und flattert und
blendet und blitzt auf der braunen Fläche, um die fahlbraunen Torfhaufen, aus den schwarzen Tümpeln,
zwischen den düsteren Binsen. Und blendender noch und weißer nicken darin die weißen Hemdsärmel der
Bauern, die weißen Helgoländer der Bäuerinnen, die dort in schwerer Arbeit den Torf gewinnen, und
silbern erstrahlen die spitzen Torfschuten, die sie Stück um Stück aus dem Boden stechen. Dicht an der
Landstraße hebt sich ein weißer Helgoländer: ein sonnenverbranntes Mädelsgesicht, braun wie reife
Haselnuß, mit apfelroten Bäckchen und blitzenden Zähnen, hübsch zum Anbeißen, lacht uns in den
Wagen und ruft uns "guten Tag!" zu, froh lachend die Kußhand quittierend. Nicht nur in Italien gedeiht
Schönheit.
Über den Schwarzbach, aus dem blendendweißer Fieberklee die zarten Blüten reckt, führt der Weg
zwischen vollaubigen Hängebirken und duftenden Ebereschen, dann geht es abseits in den Sandweg
durch blaugrüne Grasheide, hinter der in grüner Baumgruppe die Wassermühle Brokeloh verschwindet.
Langsam macht die Schafherde dem Wagen Platz. Grüne Felder künden Kultur an, der Feldlerche bunter
Gesang löst der Heidelerche lullendes Lied ab. Hinter dem Wald tauchen die Türme und Schlote von
Nienburg auf, in grüner Saat macht Meister Lampe Männchen, Stare schweben buschwärts, und da
tauchen auch die schwarzen Strohdächer von Brokeloh auf, mit ihren Schützenscheiben, ihren
Giebellöchern, denen der Herdrauch entströmt, und da sind wir im Schloßhofe, freundlich willkommen
geheißen vom Gutspächter.
Schloß Brokeloh war einst ein von Münchhausensches Schloß; 1545 von Clamor von Münchhausen
erbaut. Das Herrenhaus ist so recht für einen Sommeraufenthalt geeignet. Ein schwerer Fachwerkbau mit
grauem, geschnitztem Eichengebälk, bewachsen bis zur Dachrinne mit Efeu, umkrochen von Kletterrosen,
in einem gut gepflegten Garten gelegen, weit ab von Welt und Lärm. Nur ländliche Geräusche tönen
hierhin, Vogelgezwitscher, Hahnengekrähe, Hundegebell, Wagengeroll und ein Peitschenschlag, hoch aus
der Luft ein Bussardruf, vom Felde des Rebhahns schriller Lockton, vom Dorfe des Storches
Kastagnettenvortrag, oder aus den Resten des Schloßgrabens der Frösche Minnegesang und aus den
hohen Eichen der Heuschrecken eintöniges Lied. Und innen ist das Herrenhaus so altfränkisch gemütlich,
ländlich anheimelnd, so reich an Räumen, in denen altmodische, schöne Möbel und alte Ölgemälde
hängen, daß man durch keinen modernen Firlefanz aus der Ferienstimmung gerissen, an die Stadt
erinnert wird. Auch zu Spaziergängen in Wald und Wiese, Heide und Holz ist Gelegenheit, die Gutsjagd ist
klein, aber lohnend - so läßt sich hier gut leben.
Schwer trennte ich mich von dem versteckten Erdenfleckchen und unseren freundlichen Wirten, und
langsam ging es durch tiefen Wald der Landstraße zu. Die Sonne stand tief, die Torfstecher zogen
truppweise heim, Stadt Rehburg zu, die Männer, zur Hälfte Gardefiguren, langbeinig und
hochaufgeschossen, alle in langen Stiefeln, ein schöner Menschenschlag. Torfwagen an Torfwagen
schleppte sich die Straße entlang, Hunderte von Torfstechern beleben die Straße, düster die Männer, licht
durch ihre Kopftücher die Frauen wirkend. Im Scheunenviertel von Stadt Rehburg bot sich ein schönes
ländliches Bild: Hunderte von Kühen, fast alle schwarzbunt, strebten ihren Ställen zu. Jede Kuh trägt eine
Glocke, und klingend und brüllend und moschusduftend zieht die schwarzbunte Schar zum Tore hinein.
Jede Kuh findet ihren Torweg selbst oder wird, wenn sie noch Lust zum Bummeln hat, von den Kindern mit
einem Klaps auf die Lenden zum Heimgehen veranlaßt.
Wenn man, wie ich, seine Kindheit in einem Ackerbürgerstädtchen verlebt hat, dann wird das Herz weich
bei Kuhgebrüll und Moschusgeruch, beim Anblick von Torfwagen und Plaggenhaufen, und eine gewisse
Angst vor der lauten Großstadt kriecht um die Seele und das Gefühl, sich selbst nicht als voll zu gelten.
Nur der Mensch, der ackert und sät auf eigener Scholle, ist Herrenmensch, und wenn die Scholle auch
noch so klein ist: er ist König.